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Rays Around You 

(Amely Deiss)

Ein dichtes Geflecht aus Farbe beherrscht die neuesten Malereien von Erik Schmidt. Kleine Farbflächen, Momente aufgetürmter Farbe, puzzleartig aneinander gesetzt, darüber, dazwischen kräftige Linien - und dann: Weiß. Viele der Gemälde, zu denen Schmidt durch seinen Japanaufenthalt im Jahr 2015 inspiriert wurde, zeigen das, was man sieht, wenn man den Blick dort an einer Straßenkreuzung nach oben wendet: Kabel und Leitungen, die sich überlagern, Stromkästen, Lampen - ein undurchschaubares, unschönes, Dickicht aus den Versorgungsleitungen einer Riesenstadt. In immer stärker werdender Abstraktion widmet sich Schmidt in seiner Malerei diesen Knotenpunkten. Die Leitungen, die bunten Häuserfassaden, die grellen Werbeschilder sind durchaus erkennbar, lösen sich aber, je mehr man sich in das Bild vertieft, zunehmend auf und werden zu reiner Malerei. Erik Schmidt macht sein Interesse an Struktur, Geometrie und nicht zuletzt Farbe als Material geradezu körperlich spürbar. Seine Gemälde sind immer auch Reflexion über Malerei - über Farben, Flächen und - beeinflusst von der Auseinandersetzung mit der japanischen Kunsttradition - mehr noch als bisher über die Linie. Grafischer als seine bisherigen Gemälde sind die Arbeiten dieser Werkphase: die dicke Farbe schwebt bisweilen nur noch vereinzelt vor weißen Flächen, überlässt dem Grund sogar manchmal gänzlich das Feld. Malerei, wie wir sie kennen, hat in Japan keine Tradition. Wie in einem Kippbild tritt bei der Betrachtung jedoch auch immer wieder das Motiv in den Vordergrund, und die stark fluchtenden Geraden, die betont steilen Vertikalen sowie die wild ineinander verstrickten Farbmassen lassen einen den Schwindel fühlen, der den Maler beim Gang durch die Straßen Tokyos erfasst haben mag. Für Gemälde wie Takashi bq, deren Titel sich stets aus einem japanischen Vornamen mit dem Kürzel für die Einheit Becquerel zusammensetzt, hat sich Schmidt im Gegensatz dazu einzelnen Personen angenähert. Aus den riesigen Menschenströmen auf der Straße und den dichtbesetzten U-Bahnen wählte er einzelne Menschen aus, denen er sich in kleinformatigen, nahen Porträts widmet. Er zeigt sie versunken in den Takt ihres Arbeitstages, mit Aktentasche und Smartphone. Stärker noch als die Architekturansichten wirken diese Malereien zeichnerisch. Farbflächen bestehen zuweilen nur aus zwei, drei dicken, nebeneinander gesetzten Strichen, Gesicht und Hände sind fast ausschließlich durch deren Umrisse definiert, erhalten ihre Farbe und ihre Modellierung nur durch minimale, farbige Partien. Malerei, die sich auf das Entscheidende beschränkt. Der fasziniert forschende Blick des Fremden auf die Stadt und die andere Kultur schlägt sich auch in Schmidts Film Cut/ Uncut nieder, den er am Ende seines Aufenthaltes in Japan drehte. Der Protagonist - wie auch in Schmidts früheren Filmen ist das der Künstler selbst - geht darin durch Tokyo, isst, trinkt, spielt am Automaten. Er nimmt am täglichen Leben teil, und fügt sich doch so gar nicht ein in die Gesellschaft, die um ihn herum sichtbar ist. In einer Art selbst erfundenen Zeremonie in einem japanischen Teehaus zerschneidet er in der Mitte des Films seinen Anzug, reißt ihn unter höchster Anstrengung so gewalttätig wie präzise in Fetzen, während er ihn noch am Leibe trägt. Mit Bändern und Gurten verwandelt er ihn schließlich in ein japanisch anmutendes Gewand. Die unterschiedliche Kleidung des Protagonisten und die jeweilige Umgebung, in der er sich bewegt, gehen in diesem Film enge inhaltliche Verbindungen ein - von Strenge und Akkuratesse bis zur völligen Auflösung und Freiheit - welche mit der neuen Uniform noch lange nicht erreicht ist. Wie in seinem bisherigen Oeuvre arbeitet Erik Schmidt auch in diesem Motivkomplex in unterschiedlichen Medien. Die künstlerischen Herangehensweisen sind inspiriert vom gleichen Thema; ihre Ergebnisse können zwar ohne einander stehen, steigern ihre Wirkung jedoch gegenseitig immer weiter. So unterschiedliche „Materialien“ wie die eigenen, mit westlichen Augen gemachten Alltagsbeobachtungen, Betrachtungen traditioneller japanischer Kunst, Samuraifilme oder das mit dem Titel verwandten Cut Piece von Yoko Ono verwebt Schmidt mit seiner ganz individuellen Bildsprache zu einem neuen Narrativ über Japan, wie es einem ebenso gebildeten wie neugierigen Europäer erscheinen mag. Eklektisch, in einem durchweg positiven Sinne. Die Titelgebenden Rays Around You lassen, ebenso wie die einzelnen Bildtitel - im Zusammenhang mit Japan - zunächst an die Reaktorkatastrophe von Fukushima denken. Die Kabel auf den Malereien und die Smartphones in den Händen der Menschen auf den Porträts und Zeichnungen tun ihr übriges dazu. Und doch entsteht gerade durch das Zeichnerische der Arbeiten oft auch ein ganz anderes, positiv besetztes Bild von Strahlen. Die einzelnen Pinselschwünge definieren manche Partien besonders, umfangen andere Bereiche nahezu zärtlich, und eröffnen neben der Assoziation gefährlicher Strahlung auch Gedanken an unsichtbare Auren oder wärmende Sonnenstrahlen.