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Alte Meister Erik Schmidt

Sir John Everett Millais „Ophelia“

Ich würde mich als Maler und Filmemacher bezeichnen, und obwohl „Ophelia“ von Sir John Everett Millais ein Gemälde ist,  habe ich das Werk eher in Bezug zu meinen Filmen ausgesucht.

Ich kannte dieses Bild schon als Jugendlicher – aber nicht aus dem Museum, sondern aus der Popkultur. Es gab Plattencover und Buchtitel damit in den 80er Jahren, die ja die New-Romantic-Bewegung, New Wave, Gothic und so weiter hervorgebracht haben. Es ist ein sehr populäres Bild, das junge Menschen in einem bestimmten Alter anspricht. Das Bild zirkuliert also schon lange und wird auch immer wieder aktualisiert. Bei meinem letzten Japan-Aufenthalt habe ich zum Beispiel verschiedene Manga-Versionen davon entdeckt. Das Original habe ich selbst erst lange nach meiner ersten Begegnung mit dem Motiv  in der Tate Britain gesehen.

Ich war Ende der 80er Jahre sehr nach England orientiert. Im Studium habe ich mich mit den Regisseuren Derek Jarman und Peter Greenaway beschäftigt. Das Opulente, auch Morbide hat einen großen Reiz auf mich ausgeübt. Mit den Young British Artists kam dann aus England auch ein ganz neuer Künstlertypus ins Spiel.

Zugleich fing Anfang der Neunziger eine starke Auseinandersetzung mit dem Tod an, auch in der Kunst, die mit Aids und HIV aufkam, besonders in den USA. Da entstand schnell die Frage, was man den schrecklichen Bildern vom Tod eigentlich entgegensetzen könnte. Ich sehe die „Ophelia“ auch in diesem Zusammenhang, in ihrer üppigen und romantischen Inszenierung.  Als der Tod bei Homosexuellen sehr präsent war, ging es auch darum, sich den Schrecken wegzuspielen. Dass man ihn verwandelt das in etwas Schönes.

Ophelia, die Tochter Hamlets, verfällt dem Wahnsinn, als ihr Geliebter ihren Vater umbringt, und ertränkt sich. Aber sie schwebt in Millais‘ Gemälde ja eher. Es ist sehr erzählerisch, und es gibt auch eine Geschichte dahinter. Das Bild kann weitererzählt werden. Die Präraffaeliten wurden selbst als sehr modisch wahrgenommen. Sie haben sich bewusst inszeniert und dafür gesorgt, dass es Geschichten über sie gibt.

Das junge Mädchen, das dem Maler Modell stand, musste wochenlang für ihn in einer Badewanne posieren, die von unten mit Kerzen erwärmt wurde. Die Kerzen gingen aber einmal unbemerkt aus und sie wurde krank, woraufhin ihr Vater den Maler verklagte. Wenn ich das Bild anschaue, finde ich, man sieht auch immer die Badewanne ein bisschen mit, die Geschichte dahinter.

Da bin ich dann bei meinem Werk: Es gibt die Malerei, aber mit meinen Filmen gebe ich der Malerei noch etwas dazu. Meine Filme sind nicht bewegte Malerei, sondern Geschichten über den Künstler: Wo hat er diese Themen erlebt? Er fügt ein Bild von sich hinzu. Beides bedingt sich gegenseitig, und das macht es, zusammen betrachtet, reizvoller.

Auch die Inszenierung des Todes gibt es in meinen Filmen, oft im Zusammenhang mit Wasser. In der aktuellen Video-Arbeit geht der Künstler am Ende mit einem zerschnittenen Anzug ins Meer. Im Film „Gatecrasher“ schwimme ich im Wasser, aber tauche auch wieder auf. Es bleibt in der Schwebe, es geht nicht eindeutig um Tod, aber doch um den eigenen Auflösungsprozess.

Vom Malerischen her ist „Ophelia“ minutiös durchdekliniert, starr, grafisch. Kunstgeschichtlich haben sich die Präraffaeiliten an der Gotik orientiert, nicht am klassischen Malen. Mir ist es eigentlich zu viel, es ist an der Schmerzgrenze. Aber es hat trotzdem diesen Reiz, dass man es sich doch anschauen will. Es hat mit meiner Malerei sicherlich weniger zu tun, bei der es um das Weiß, das Sich-Auflösen, die Durchlässigkeit geht.

Als ich mit der Kunst begann, hat mich die deutsche Kunst und ihr Thema Angst und die Schwere total fertig gemacht. Mit diesem Klischee wollte ich nicht in Verbindung stehen. Ich finde eine gewisse Ironie wichtig, auch darum fühle ich mich zu „Ophelia“ hingezogen, weil sie mich ganz oberflächlich anspricht. Es gibt etwas Spielerisches daran. Man kann eine Geschichte auch der Ästhetik wegen erzählen, mit Bildern aus dem Kosmos von Bildern, die wir schon kennen. Wie dieses Bild. Man weiß gar nicht, wann man es zum ersten Mal gesehen hat -- es könnte auch das Mangabild davon gewesen sein. Das ist mir in meinen Filmen auch wichtig: Du kannst an der Oberfläche bleiben, und musst nicht alles durchdringen. Ich setze mich mit den Dingen auseinander, aber letztlich kann man doch immer nur etwas über sich selbst erzählen.