Anika von Taube on Skyscanner Exhibition
Der Zitteraal ist gar kein Aal, er heißt nur so, weil er aussieht wie einer. Vom Aussehen des Zitteraals sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Dass dieses Tier Stromstöße mit einer Spannung von bis zu 860 Volt zu erzeugen vermag und damit einen ausgewachsenen Menschen außer Gefecht setzen könnte, sieht man ihm jedenfalls nicht an.
Dass häufig nicht in Einklang zu bringen ist, wie ein Ding aussieht und was man ihm ansieht, ist so verwirrend wie anregend – und der Grund, warum es immer noch Kunst gibt. Warum es immer noch Künste gibt. Die Sache mit dem „wie ein Ding aussieht“ bekam die Fotografie ja zunächst so streberhaft gut hin, dass sich die Malerei eine Weile ernsthaft fragen lassen musste, ob man ihr angesichts ihrer Neigung, selbst realitätstreueste Darstellungen noch mit unsichtbaren Bedeutungspartikeln aufzuladen, überhaupt noch vertrauen könne, worauf sie sich trotzig in die Gegenstandslosigkeit verabschiedete – nur um es der Fotografie spätestens mit dem Fotorealismus so richtig heimzuzahlen. Diese erging sich zwar ebenfalls hier und da in Gegenstandslosigkeit, wurde darin aber nie so gut wie die Malerei. Kein Wunder, ist die Fotografie der Malerei ja ganz grundsätzlich unterlegen, ähnlich wie der Zitteraal dem normalen Europäischen Aal, der zwar keine Stromstöße versetzen kann, dafür aber einen der spektakulärsten Lebensläufe des Tierreiches aufweist, indem er einem ihm genetisch eingeschriebenen Schaltplan folgt: Er laicht in der Sargassosee nahe der Bahamas, legt dann tausende von Kilometern über das Meer zurück, lebt ziemlich lange, nämlich bis zu 50 Jahre, in europäischem Süßwasser und kehrt zum Laichen und damit Sterben wieder an seinen Geburtsort zurück.
Übrigens gibt es erstaunlich viele Menschen, die nichts über Aale wissen. Würden sie einen Aal und einen Zitteraal gleichzeitig betrachten, sie hätten vielleicht eine Ahnung, welches Tier Electrophorus ist und welches Anguilla. Vielleicht gefiele ihnen sogar eines von beiden besser, aber nach einer Weile wären sie sich nicht mehr so sicher und würden womöglich verzweifeln angesichts ihres Unvermögens, Dinge zu bewerten, die gleich aussehen und dabei völlig unterschiedlich sind. Auf die Künste übertragen insofern schon sehr beruhigend, dass die Fotografie der Malerei so unterlegen ist, dass es nie Zweifel bei der Bewertung gäbe. Das mit der Unterlegenheit gilt ja praktischerweise sogar wortwörtlich: Nehmen wir an, ein Maler käme auf die Idee, Malerei und Fotografie in ein und derselben Arbeit zu vereinen (aber warum sollte ein Maler schon auf so eine Idee kommen und vorsätzlich die Überlegenheit seines Mediums kontaminieren wollen), er würde die Fotografie als Unterlage für den Farbauftrag nutzen, nicht umgekehrt.
Das Vexierspiel um die Unterscheidung von Aalen und Zitteraalen funktioniert übrigens mit jedem Ding, das wir zu kennen oder erkennen meinen, sogar mit Strommasten, um einfach mal irgendein Ding aus der Luft zu greifen. Oder – und jetzt wird es wirklich spannend – mit nichts. Denn wie erkennt man nichts? Es ist völlig absurd, aber immer wenn man nichts sieht, dann sieht man etwas. Oft sogar mehr, als wenn man ein Ding sieht. Vorausgesetzt, man kann dieses Nichts mit etwas in Beziehung setzen. So gesehen schon gut, wenn das Nichts nicht allein im Bild ist. Sondern in Zusammenhang mit einem Ding, das man als Quelle anzapfen kann, um es aufzuladen. Aale oder Strommasten gehören dabei nicht gerade zu den beliebtesten Sujets, wenn auch in der Fotografie noch häufiger anzutreffen als in der Malerei. Dabei würde gerade bei Strommasten die Sache mit dem Aufladen des Nichts super funktionieren. Wenn man die zum Beispiel aus der Untersicht abbilden würde, so dass der Blick ihnen nach oben folgen und in den Himmel geleitet würde, und wenn man dann den Himmel einfach leer lassen, nichts dahinmalen würde? Dann wäre das Nichts so ein Ding, dem man alles ansehen könnte, was man wollte. Und dann wäre es ziemlich egal, wie groß oder klein es wäre, ob man darin einen Zitteraal sähe oder einen Aal, Fotografie oder Malerei. Es wäre nicht dinglich, sondern wesentlich. Es wäre das Wesen der Kunst.